Dort wo heute die Fabrikhallen Altenbuchinger stehen, war eine Sammelstelle für die gefangenen deutschen Soldaten. Nach der Registrierung kamen sie in das zwischen der Erlenstraße und Englburger Straße gelegene Gefangenenlager. Links oben im Bild der zerstörte Bahnhof, bei dem der Kamin noch in die Höhe ragt.

Schicksalsort für Tausende von Gefangenen im Jahr 1945


Errichtung des Lagers

Als Anfang Mai 1945 das Ende des Krieges absehbar war, wurden in unserem Grenzgebiet zwei zentrale Gefangenen­lager errichtet, in die alle gefangenen Soldaten zusam­mengeführt werden sollten. Als Orte wurden von der US-Armee Tittling und Cham ausgewählt. Das Lager Tittling war für 15.000 Gefangene vorgesehen, das in Cham für 20.000. Mit der Errichtung des Lagers in Tittling dürfte einige Tage nach der Einnahme des Orts am Nachmittag des 29. April 1945 begonnen worden sein. Das Lager Cham wurde schon einige Tage vorher errichtet.

Lage und Größe des Lagers

Das „Camp“ Tittling im Bereich der „Insel“ war für 15.000 Gefangene vorgesehen. Insgesamt dürf­ten 30.000 bis 40.000 Gefangene das Lager durchlaufen haben.

Es gab Camp I für die normalen Gefangenen und Camp II für die SS-Angehörigen.

Camp I war in etwa begrenzt durch die heutige Englburger Straße und den Maseringer Bach. Im Osten reich­te es bis zum Straßenzug Insel, im Westen bis zur heutigen B 85. Das Lager „wuchs“ mit der Zahl der Gefan­genen.

Camp II war im damaligen Haberedergarten, nördlich der heutigen Molkerei.

Die Lager waren mit Stacheldraht eingezäunt, an den Ecken gab es Wachtürme.

Besonders in den ersten Tagen des Lagers gab es für die vielen ankommenden Gefangenen einen Sammel­platz, der von der Bahnlinie, dem Anwesen Altenbuchinger und den Anwesen Willmerdin­ger, Maurer und Bauer begrenzt wurde. Dort warteten die deutschen Soldaten auf ihre Registrie­rung.

Die meisten Gefangenen wurden mit US-Lastwagen aus einem Umkreis von ca. 80 km nach Tittling ge­bracht. Einige Soldaten wurden in der näheren Umgebung von US-Soldaten aufgegriffen oder be­gaben sich direkt ins „Camp Tittling“.

 

 

 

 

 

Registrierung

Für deutsche Soldaten war die amerikanische Gefangenschaft das kleinere Übel und oft willentlich herbeige­führt. So wollte man der gefürchteten russischen Gefangenschaft entgehen.

Außerdem waren Registrierung und Entlasspapiere für die Rückkehr in das Zivilleben sowie Erhalt von Lebensmittel­karten zwingend erforderlich.

In der US-Lagerleitung im Altenbuchinger-Wohnhaus mussten die Gefangenen ihr Soldbuch abge­ben und wurden ver­hört. Dann wurden sie einem Bereich im Lager zugeteilt.

Da es sich herumsprach, dass Personen aus der Umgebung „bessere Karten“ hatten, wurden ver­mehrt nähere Entlasszie­le genannt.

Nach der Einlieferung forschte die US-Armee nach Kriegsverbrechern, SS-Angehörigen und hoch­rangigen Parteiange­hörigen unter den Gefangenen.

Leben auf freiem Feld

Die Gefangenen waren auf den Feldern und Wiesen schutzlos der wechselnden, teilweise extremen Witte­rung ausge­setzt. Die Nächte waren oft kalt. Regengüssen oder sengender Hitze war man schutzlos ausge­setzt. Alte Militärdecken und Kleidungsstücke dienten als Wetterschutz. Die Männer und jugendlichen Sol­daten suchten zusammengekauert Schutz vor der Kälte oder in selbst gegrabenen Erdlöchern. Innerhalb des Lagers konnten sich die Gefangenen frei be­wegen.

Versorgungslage

Anfangs fehlte es an Essen und Trinken, man hatte nur das, was man ins Lager mitbringen konnte. In ihrer Not aßen die Gefangenen Gras, Sauerampfer und Wurzeln und leckten den morgendlichen Tau auf.

Das Essen bestand später aus einer dünnen Suppe, nach einigen Tagen verbesserte sich die Versor­gungslage.

Der Brunnen beim Anwesen Willmerdinger in der Passauer Straße spielte eine große Rolle. Von hier aus wurde Trink­wasser zum Lager getragen. Das durch die Menschenmassen stark belastete Wasser aus dem Ma­seringer Bach war als Trinkwasser ungeeignet und barg gesundheitliche Gefahren.

Medizinische Versorgung

Anfangs gab es kein Sanitätsrevier und keine Medikamente. Im Wagingergarten (Insel 6), in dem ei­nige der wenigen schattenspendenden Bäume standen, lagen Verwundete. Später wird von hölzernen Hütten berichtet, die als Krankensta­tion dienten. Auf den Entlasspapieren findet sich auch eine medizinische Bescheinigung, un­terzeichnet von ei­nem US-Sani­tätsoffizier.

Hygiene und sanitäre Einrichtungen

Im ganzen Lager war ein stinkender Geruch. Die Bekleidung konnte kaum gewaschen werden.

Die Latrinen bestanden aus offenen Gräben, deren Ränder täglich mit Kalk bestreut worden sind.

Lageralltag

Berta Eder, wegen des Wagnerberufs ihres Vaters besser als „Wagner Berta“ bekannt, arbeitete als Dolmet­scherin bei der Lagerleitung. 1928 war sie nach Amerika ausgewandert, aber nach 5 Jahren wieder zurückge­kehrt. Durch ihren Ein­satz in und außerhalb des Lagers hat sie vielen geholfen.

Laufend gab es weithin hörbare Lautsprecherdurchsagen, meist waren es Namen von Gefangenen, die zur Lagerleitung gerufen wurden.

Druckmittel zur Aufrechterhaltung der Disziplin waren die Angst vor der Auslieferung an die Rus­sen oder andere Maß­nahmen, z. B. Strammstehen bei großer Hitze mit Blick nach Süden und ohne Trinken.

Die anfangs barschen Wachmannschaften wurden später umgänglicher. Die SS-Angehörigen, die für viele Grausamkei­ten in der Kriegszeit verantwortlich waren, wurden härter behandelt.

Besondere Ereignisse

Etwa 400 Gefangene wurden zur Exhumierung der verscharrten Toten des KZ-Transports bei Nam­mering herangezo­gen. 500 Gefangene des Lagers Tittling kamen nach Pocking, wo sie in einer außerhalb gelegenen, ehemali­gen Alumini­umfabrik Schlafstellen aus Holz erstellten.

Die langersehnte Entlassung

Die Aufenthaltsdauer schwankte, meist dauerte sie drei bis vier Wochen.

Die Gefangenen wurden auf Lastwägen zur Entlausung zur Ilz bei der Schrottenbaummühle ge­bracht. Nach einem Bad im kalten Fluss wurde Läusepulver auf dem Kopf und den Kleidern ver­streut. Dann erhielten die Gefangenen die be­gehrten Entlasspapiere.

Wegen der meist üblichen Entlassung am späteren Nachmittag und der abendlichen Ausgangssperre kamen die entlasse­nen Gefangenen am ersten Tag meist nur bis kurz vor Fürstenstein. Die Hausbe­wohner an der Straße versorgten die Ent­lassenen so gut es ging und beherbergten viele über Nacht im Heustadel oder in der Scheune.

Gefangene, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden, mussten sich vor amerikanischen Mili­tärgerichten verant­worten oder kamen in andere Lager.

Auslieferungen an die Russen

Über allen Soldaten, die an der Ostfront gegen die Russen gekämpft hatten und in amerikanische Gefange­nenschaft ge­kommen waren, schwebte das Damoklesschwert der Auslieferung an die Rus­sen. Die Frage ei­ner Auslieferung wurde unterschiedlich gehandhabt.

Ein glaubwürdiger Zeitzeuge berichtet von einer gewaltigen Auslieferung am Pfingstsonntag, 20. Mai 1945. Am Mor­gen fuhren ca. 100 Lastwagen beim Tittlinger Lager vor. Auf jeden mussten 50 Gefangene aufstei­gen. Die Fahrt ging nach Budweis, von dort im Fußmarsch nach Krumau und von dort per Zug nach Russ­land.

Die örtliche Bevölkerung und das Lager

Meist bedrohten Wachen mit ihrer Waffe und verjagten Personen, die etwas Essen durch den Zaun reichen oder darüber werfen wollten. Der offizielle Weg für Hilfeleistungen sollte über die Gemeindeverwaltung er­folgen. Die Gefangenen balgten sich um Brot und Kartoffeln, die doch an den Wachen vorbei ins Lager ge­langten. In Erinnerungen ehemaliger Gefangener wird oft die Hilfsbereitschaft der einheimischen Bevölke­rung lobend hervorgehoben.

Das Ende des Lagers

Im September 1945 brach Typhus aus. Das Lager wurde geschlossen. In Plattling und Regensburg entstanden winter­taugliche Lager.

Wie viele Gefangene starben?

Über die Zahl der Toten während des Bestehens des Lagers und deren Ruhestätte gibt es nur Vermu­tungen. Es können heute nur statistische Überlegungen angestellt werden.

Das Lager bestand rund 5 Monate, maximal wurden hier 15.000 Gefangene festgehalten, insgesamt dürften es 30.000 bis 40.000 Soldaten gewesen sein. Darunter waren viele geschwächte, kranke, verwundete und un­terversorgte Personen. Die hygienischen Verhältnisse waren mangelhaft. Krank­heiten konnten sich schnell ausbreiten.

Auf einem Ochsenkarren wurden täglich in den frühen Morgenstunden Leichen abtransportiert“, so ein Zeitzeuge. Die Gesamtzahl der Toten dürfte ihm dreistelligen Bereich liegen.

Anmerkung: Es gibt einen kurzen Film über das Gefangenenlager, das US Truppen im späten Frühjahr 1945 aufgenommen haben. Geben Sie bei Google "Tittling 1945" ein. Unter "Videos" ist der Film ganz vorne aufgeführt (youtube).

HZ 05.2015