Das Ende der Postkutschen ist besiegelt


Am 1. Juli 1908 verkehrte auf der Strecke Passau – Tittling – Schönberg erstmals offiziell
die „Mo­torpost“. Die bisherigen Postkutschenlinien Tiefenbach – Tittling und Tittling – Saldenburg – Schönberg wurden in diesem Zusammenhang aufgehoben und durch die neue Motorpostlinie er­setzt.

Die neue Linie war die erste ihrer Art im ostbayerischen Raum und mit 42 Kilometern die längste dieser neuen Form der Beförderung von Personen und Postsachen in Bayern überhaupt. Die erste bayerische Motorpost verkehrte erstmals am 1. Juni 1905 auf den rund 10 Kilometer langen Stre­cken von Bad Tölz nach Bichl und von Sonthofen nach Hindelang.

Der damalige Tittlinger Pfarrer Matthias Putz hielt einige Details dieser neuen, als Jahrhundertwerk gepriesenen Erfindung schriftlich fest. So hatten die vollgummibereiften, mit einem 35 PS Motor ausgestatteten Postautos 22 bequeme, gepolsterte Sitzplätze, bei Mitführung eines Anhängerwagens, in dem ein Bremser mitfuhr, sogar 37. Die Fahrgeschwindigkeit betrug höchstens 25 Kilometer pro Stunde.

Der Fahrpreis betrug pro Kilometer fünf Pfennige. Die Fahrt von Tittling nach Passau kostete 1,15 Mark. Für die Einzelfahrt von Schönberg nach Passau waren 2,10 Mark zu bezahlen.

Der Tageslohn eines Arbeiters im Steinbruch betrug damals 1,50 Mark. Der Bremser bei der Motor­post bekam sogar 2,00 Mark Tageslohn, was auf die Wichtigkeit seiner Arbeit und seine große Ver­antwortung schließen lässt.

Obwohl die Fahrtkosten vergleichsweise hoch waren, zogen die meisten Bürger die schnellere Fahrt mit der Motorpost einem langen Fußmarsch oder einer anderweitigen, unbequemeren Reiseart vor.

Bemerkenswert war es für den Pfarrer, dass fast zum gleichen Datum im Juli 1845, also genau 68 Jahre vorher, die erste Postkutschenverbindung zwischen Passau und Regen über Tittling eröffnet worden war.

Vor der Einführung der Motorpost musste erst der Straßenzustand geprüft und an vielen Stellen die Fahrbahnbreite sowie die Straßenbeschaffenheit den neuen Bedürfnissen angepasst werden.

Die königliche Postverwaltung erwartete von den Anliegergemeinden eine finanzielle Beteiligung an der Einführung des neuen, wesentlich schnelleren Verkehrsmittels.

In Passau stellte die Gastwirtsfamilie Dorner ein Grundstück für zwei Jahrzehnte zur Verfügung,
die Stadt Passau errichtete auf ihre Kosten die „Hinterlegungsstelle“. Die Gemeinde Neukirchen vorm Wald stellte einen jährlichen Zuschuss von 40 Mark in Aussicht, die Gemeinde Tiefenbach einen von zehn Mark und der Gastwirt Bauer in Schwaiberg, in Erwartung des guten Geschäfts, den glei­chen Betrag. Die Gemeinde Schönberg, von der die Initiative zu dieser Motorpostlinie ausge­gangen war, sperrte sich anfangs aus wirtschaftlichen Gründen, den gewünschten einmaligen Zu­schuss von 7.500 Mark für die Errichtung einer Unterstellhalle am Endpunkt der Strecke zu zahlen. Aber schließlich kam alles zu einem guten Ende.

Vorab hatte die Oberpostdirektion darum gebeten, die umliegenden Fuhrwerksbe­sitzer über den be­vorstehenden Verkehr mit der neuen Motorpost zu informieren. Diese sollten ihre Pferde allmählich an den Anblick der Motorfahrzeuge gewöhnen. Dies war wohl auch für manche Menschen notwen­dig. So wurde von einer Frau erzählt, die nach dem angsteinflößenden Anblick des pferdelosen Fahrzeugs den Teufel höchstpersönlich im Wagen vermutete.

Vor der eigentlichen offiziellen Eröffnung am 1. Juli 1908 gab es am Tag vorher eine Probefahrt für ge­ladene Gäste von Passau über Titt­ling nach Schönberg. In der gelben Motorpost, die um 11.00 Uhr von Passau abfuhr, saßen Vertreter der Oberpostdirektion, eine Abordnung des Magistrats Schönberg und weitere geladene Gäste. Nach ei­nem Zwischenaufenthalt an der Abzweigung nach Saldenburg hatte man um 13.00 Uhr Schönberg erreicht. Nach Festan­sprachen und Redebeiträgen gab es eine festliche Bewirtung für die 46 gelade­nen Gäste im Gasthof Pleintinger.

Die Einführung der Motorpost bedeutete das Ende der Beförderung mit pferdebespannten Postkut­schen. Deshalb wurde im Juli 1908 der Poststall mit 12 bis 15 Pferden des königlichen Posthalters Anton Mayer in Tittling aufgelöst. Gleiches geschah mit dem Poststall des Gutsbesitzers Franz Sau­ter in Saldenburg. Auch die Ära der Postillione war damit beendet.

Vorgesehen waren bei Einführung der Linie zwei Hin- und Rückfahrten am Tag, an Sonn- und Fei­ertagen im Sommer kam eine weitere Fahrt hinzu. Ab Sommer 1909 wurden auch während der Wo­che drei Fahrten durchgeführt.

Zu einem Schlittenrennen in Tittling am 31. Januar 1909 wurde eine Extra-Motorpost von und nach Passau eingesetzt.

Ende 1909 wurde zusätzlich der Güterverkehr aufgenommen. Güterhinterlegungsstellen wurden in Passau, Oberjacking, Schwaiberg, Ruderting, Neukirchen v. W., Preming, Tittling, Trautmannsdorf, Eberhardsreuth und Schönberg eingerichtet.

Für das Jahr 1909 wird von einer guten wirtschaftlichen Situation bei den 21 bayernweit eingerich­teten Motorpostlinien berichtet. Das größte Jahreseinkommen hatte dabei die neue Linie Passau – Tittling – Schönberg mit 56.350 Mark. Diese Linie erzielte mit 14.846 Mark auch den größten Überschuss. Es wurden insgesamt rund 55.000 Personen befördert. Dies führte in den Folgejahren zu einer Erweite­rung des An­gebots, zumal immer wieder von übervollen Fahrzeugen berichtet wur­de, die vereinzelt wartende Fahrgäste nicht mehr aufnehmen konnten.

Trotz der hohen Inanspruchnahme durch die Bevölkerung gab es immer wieder Beschwerden, ins­besondere über den Streckenabschnitt Passau-Ries – Tittling. Beklagt wurden die schlechte Befahrb­arkeit wegen des ungenügenden Straßenunterbaus, der bisweilen grob aufgeschotterte Belag und die tiefen Spurrillen. So berichtete die Donauzeitung am 27. März 1913 unter der Überschrift „Staatsstraßen-Idyll“ von Postautos, die bis zu den Achsen im Schmutz eingegraben waren, von schimpfenden und schiebenden Passagieren und von Reisenden, die wieder stadtwärts umkehrten. Die Straße gleiche an manchen Stellen einem frisch aufgeworfenen Acker. Auch die Technik der Motorpostfahrzeuge streikte bisweilen zum Ärgernis der Reisenden, Defekte an den Bremsen führ­ten zu Unfällen.

So wird im September 1909 von der lebensrettenden, von der Oberpostdirektion belobigten Tat des Motorpostbremsers Ignaz Bankratz aus Tittling berichtet, der in Preming in selbstloser Weise ein heruntergefallenes Kind vor dem Überfahren mit dem An­hänger retten konnte.

Zu einem Todesfall kam es bei einem Vorfall am Friedhofsberg vor Tittling im Jahr 1911. Beim Postauto versagten offensichtlich die Bremsen. Bei der unter den Reisenden einsetzenden Panik stürzte die Magistratssekretärsgattin Windheimer von Schönberg aus dem Wagen und zog sich dabei tödliche Verletzungen zu. Andere Fahrgäste trugen leichtere Verletzungen davon.

Die Oberpostdirektion schien zeitweise genervt von den immer wieder geäußerten Beschwerden über die misslichen Umstände zu sein und bat in Hinblick auf manchmal nicht zu ändernde Verhält­nisse um christliche Geduld der Fahrgäste.

Es wird von einer weiteren Kuriosität berichtet. Vor der Abfahrt gaben die Wagenführer mit einer Torpedosignalpfeife dem im Anhänger sitzenden Bremser das Zeichen, die Bremsen zu lösen. Die­ser Signalton war auch eine letzte Mahnung für verspätete Reisende.

Kurz nach der Einführung der Postautos mit Motorantrieb stand ein Interessenkonflikt im Raum. Vor der Entscheidung über die endgültige Trassenführung der 1913 fertiggestellten Bahnstrecke Deggendorf – Eging – Tittling – Kalteneck gab es je nach Interessenlage verschiedene Vorschläge für eine Bahnstrecke in diesem Raum. So wurde auch eine Verbindung der Waldbahn ab Grafenau über Tittling, Aicha v. W. nach Vilshofen (mit Anbindung an die Bahnstrecke Passau – Plattling) ins Spiel gebracht. Andere favorisierten eine Bahnverbindung Schönberg – Tittling – Kalteneck (mit Anbindung an die Bahnstrecke Passau – Freyung) oder eine Bahnlinie Passau – Tittling bzw. Tie­fenbach – Eging - Tittling.

Alle, letztlich nicht zum Tragen gekommenen Varianten hätten wohl negative Auswirkungen auf die Auslastung und Entwicklung der Motorpostlinie Passau – Tittling – Schönberg gehabt.

Durch die Alleinstellung, spätere Verknüpfungen, Erweiterungen und laufende Verdichtung des Li­niennetzes konnte sich fortan der Linienverkehr auf dieser Strecke gut entwickeln.

Die Bevölkerung nutzte die wohnortnäheren und schnelleren Buslinien, insbesondere auch nach Passau, was im Jahr 1972 die Einstellung des Personenverkehrs auf der Bahnstrecke Eging – Kal­teneck zur Folge hatte.

Am 1. August 1983 wurde das Liniennetz der Post von der Bundesbahn übernommen und sukzessi­ve die gelben Postbusse durch die roten Bahnbusse abgelöst. Im Jahr 1989 erfolgte die Übernahme durch die in diesem Jahr gegründete RBO (Regionalbus Ostbayern GmbH, eine der drei Regional­busgesellschaften der DB AG in Bayern), die seither für den öffentlichen, wohnortnahen Personen­nahverkehr in unserer Region sorgt, unterstützt durch einige Linien von Privatanbietern.

Quellenangabe:

Chronik des Marktes Tittling, Setzer Ludwig, 1979
Tittlinger Markt und Land, Dorfmeister Herbert, 2000
Artikel in der Donauzeitung (1909, 1910, 1911, 1913) und der Passauer Neuen Presse/Grafenauer Anzeiger (1981, 1983), Gemeindearchiv Tittling
Aufzeichnungen des Pfarrers Matthias Putz, Gemeindearchiv Tittling
Aufzeichnungen der Chronistin Therese Wiegand, Gemeindearchiv Tittling
Schönberger Heimatbuch, Maier Alfons, 1996
mündliche Überlieferungen

HZ 2008