Alois Schlögl in seiner Zeit als bayerischer Landwirtschaftsminister

 

Der Tittlinger Waldbote berichtete:


13. Juni 1933 (Geheimnisvoller Gewaltakt!) Heute, Dienstag vormittags 9.15 Uhr erschien auf dem Marktplatze (Tittling) dahier ein Auto mit 4 Männern in SA-Uniformen und einem Zivilisten. Die Männer drangen gewaltsam in die Wohnung (Brunngasse 5) ein, wo sie den gestern Abend aus Landshut zurückgekehrten Dr. Schlögl im Wohnzimmer überfielen und mit Gummiknütteln behan­delten. Der Verletzte trug Beulen am Kopfe und Gesicht davon. Die Täter, die schließlich in der eili­gen Durchführung des Überfalles von dem Opfer abließen, begaben sich hierauf in ihre Limousine zurück und verließen Tittling raschest in Richtung Schönberg. Die Gendarmerie Tittling hat eiligst sämtliche Gendarmeriestationen der Umgebung verständigt, um der rätselhaften Täter habhaft werden zu können. Im Hause Kulzer herrscht ob des Vorfalles begreifliche Verstörung. Dem Über­fall ist bereits, wie wir hören, eine Affäre in Landshut vorausgegangen. Wir erhielten von Landshut die Meldung, daß die ganze Wohnung Dr. Schlögls heute früh demoliert worden ist. Man vermutet in den Tätern Leute, die zu Unrecht die SA-Uniformen trugen und das Braunhemd ihnen nur Mittel zum Zweck war.

Es folgten keine weiteren Veröffentlichungen mehr.

Tittlinger Zeitzeugen berichten über den Überfall

Ein ehemaliger Tittlinger bestätigte, daß der Vierzigjährige mit seiner Frau Josefine, einer Tochter des Bezirkskaminkehrermeisters Kulzer und den drei (vier) Buben die Stadt Landshut verlassen hatte. Er hoffte, bei seinen Verwandten auf dem Land vor politischen Belästigungen sicher zu sein.

Eine Tittlinger Bürgerin erinnert sich daran, dass sie vom Eingang ihres Hauses aus zugesehen hat, wie ein Sohn von Alois Schlögl von einem SA-Mann an den Haaren aus dem Wohnhaus in der Brunngasse Richtung Marktplatz gezerrt worden ist.

Rosalia Linner, die Autorin der Erzählung “Die Leute von der Brunngasse”, beschreibt den Ablauf des Geschehens so:

Über einige Stufen kam man in die Wohnung der Familie Schlögl (Kulzer). Mehrere SA-Männer stürzten eiligen Schrittes durch die Haustür. Kurz darauf waren laute Schmerzensschreie des Ange­griffenen (Schlögl) und massive Drohungen eines Eindringlings zu hören. Nach Beendigung des Vorfalles kam die Ehefrau in die ein Haus weiter befindliche Wohnung der Familie Wagner, um den Schrecken zu überwinden und sich etwas beruhigen zu können.

Auch die drei Buben mussten den Anschlag mit ansehen. Robert wurde später Student der Medizin. Er ist am 1. März 1943 westlich von Charkow im Alter von erst 21 Jahren gefallen. Elmar traf ein hartes Schicksal, er wurde schwer verwundet und brauchte zeitlebens Krücken, Waldemar war es, der an den Haaren zum Marktplatz gezerrt worden ist.

Beim Überfall war wohl auch der 1932 in Landshut geborene 4. Sohn Hermann Alexander anwe­send, der später eine akademische Laufbahn eingeschlagen hat.

Der vorangegangene Gewaltakt in Landshut

Der Überfall im Wohnhaus der Familie Kulzer, Brunngasse 5 hatte eine Vorgeschichte. So berichtet Lothar Gruchmann in seinem Buch “Justiz im 3. Reich 1933-40” (Oldenbourg Verlag, 3. Auflage, 2001, S. 382 – online auffindbar) von einem vorangegangenen Vorfall am gleichen Tag in Landshut:

Am 13. Juni 1933 drangen in Landshut nach einem “Kameradschaftsabend” gegen vier Uhr mor­gens neun SA-Leute einschließlich eines Sturmführers in das Haus des Landtagsabgeordneten der – zu diesem Zeitpunkt noch legal bestehenden – BVP Schlögl ein, demolierten Einrichtung und Fen­sterscheiben und zwangen das Dienstmädchen unter schweren Mißhandlungen, den Aufenthaltsort der Familie mitzuteilen. Daraufhin beschlagnahmten sie beim Verleger der “Landshuter Zeitung” einen Kraftwagen und fuhren zu fünft zum Haus der Verwandten Schlögls in Tittling, brachten seine Angehörigen, darunter den fünfjährigen Sohn, in den Garten und bearbeiteten Schlögl in einem Zimmer mit Gummiknüppeln und Fußtritten, bis er bewußtlos war. Dann ergriffen sie mit dem Auto die Flucht.”

Wer war Dr. Alois Schlögl?

Alois Schlögl wurde 1893 in Pleinting bei Vilshofen geboren. Durch seinen politischen Arbeitseifer gelang es ihm, eine Führungsposition in der Bayerischen Volkspartei (BVP) zu übernehmen. Schlögl war im Jahr 1922 Vorsitzender des Christlichen Bauernvereins Passau und später Abgeord­neter im bayerischen Landtag. Unmittelbar nach der Machtergreifung 1933 wurden Angehörige der BVP von den Nationalsozialisten verfolgt. Alois Schlögl war mit Josefine Kulzer aus dem angese­henen Kaminkehrergeschlecht Kulzer, das in der Brunngasse 5 wohnte, verheiratet.

Nach dem 2. Weltkrieg war Dr. Alois Schlögl Mitbegründer der Christlich Sozialen Union (CSU) und von 1948 bis 1954 Bayerischer Minister für Landwirtschaft und Forsten im Kabinett des Minis­terpräsidenten Hans Ehard (CSU). Dr. Schlögl verstarb 1957 in München im Alter von 65 Jahren.

Versuch der Strafverfolgung durch Alois Schlögl im Dritten Reich

Lothar Gruchmann beschreibt den Versuch Schlögls, der bei dem Überfall in Tittling schwer mis­shandelt und verletzt worden war, mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Verantwortlichen vorzugehen. Nachdem der verantwortliche SA-Sturmbannführer namentlich bekannt war, versuchte Schlögl ein Strafrechtsverfahren gegen diesen einzuleiten. Bei diesen sich zäh hinziehenden Be­mühungen wurde er durch den Münchener Kardinal Michael Faulhaber unterstützt. Das Verfahren wurde jedoch von der NS-Gerichtsbarkeit aufgrund der “Straffreiheitsverordnung” eingestellt. Die Handlungen der SA seien zur Durchsetzung des nationalsozialisten Staates begangen worden und somit legitimiert. Schlögl sollte lediglich vor weiterer politischer Tätigkeit abgehalten werden. Eigennutz oder niedere Beweggründe der SA-Männer lägen nicht vor.

Die Strafverfolgung nach 1945

Die am Überfall in Landshut und Tittling beteiligten SA-Männer wurden bei einem Gerichtsverfah­ren 1946 in München zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.

Alle Verurteilten starben während des Zuchthausaufenthalts.

Der Überfall auf Schlögl im Jahr 1933 wurde auch in den Nürnberger Prozessen angesprochen, wie dem Protokoll vom 15. August 1946 zu entnehmen ist.

Von der Anklage wurden dem Gericht eine Reihe von Vorfällen vorgetragen, die beweisen sollten, dass damals alle SA-Übergriffe von der obersten SA-Führung gedeckt, bzw. angeordnet worden waren. Laut der Logik der obersten SA-Führung dienten alle Übergriffe – auch der gegen Alois Schlögl – ausschließlich dem Wohl der nationalsozialistischen Bewegung. Dadurch blieben auch schwerste Übergriffe auf Andersdenkende bis hin zum Mord für die Täter im Dritten Reich straffrei.

Das beim Überfall in Landshut 1933 von den SA-Männern misshandelte junge Kindermädchen hat sich nie richtig von den erlittenen Verletzungen erholt und verstarb an deren Folgen im Jahr 1947.

Herbert Zauhar, 2018