Die Aufbauarbeit nach dem 2. Weltkrieg

stellten Gemeinde und Bevölkerung vor größte Herausforderungen. Der dama­lige Bürgermeister Johann Habereder sah sich nach einem starken Helfer in der Not um. Seine mu­tige Wahl fiel auf New York City.

Ein erster Entwurf zu einem entsprechenden Bittbrief an den Bürgermeister von New York datiert vom 5. September 1949. Dieser Entwurf wurde anscheinend nicht weiter bearbeitet. Weitere Aktivitäten sind erst wieder ab Mitte Februar 1950 dokumentiert.

Ein Entwurf vom 13.02.1950 ist mit Korrekturen von Josef Zeintl versehen.

Darin sind einzelne Punkte und Formulierungen enthalten, die in der späteren Endfassung weggelassen worden sind, aber als Beschreibung der damaligen Verhältnisse von Interesse sind.

Tittling, ein Markt im Bayerischen Wald, zählte von jeher zu den Brennpunkten dieses Notstandsgebiets. Der unselige Krieg machte die in den letzten Jahrzehnten mühsam gewonnenen Fort­schritte restlos zunichte. Wie arm die Bevölke­rung hier geworden ist, hat uns aber erst die Zeit der neuen Währung gezeigt. Karg und ertragsarm ist der Boden und den Landwirten ist es in der jetzigen Steuerlast kaum noch möglich zu existieren. 50% der Einwohner fanden ihr Brot in den Steinbrüchen, der einzigen Industrie der Gegend. Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung hat nun zum völligen Stillstand dieser Industrie ge­führt. Die Arbeitslosigkeit hat das Ausmaß von 1932 bereits überschritten. Die Geschäfts­leute und Handwer­ker haben unter der Mittellosigkeit der breiten Masse schwer zu leiden und hart um die Existenz zu ringen. Der Flüchtlingsstrom hat das Heer der Minderbemittelten noch vergrößert und die Wohnungs­not zu einem Problem gemacht.

Als dringende Maßnahmen werden genannt:

Der Bau eines Schulhauses und Ausstattung der bestehenden Volksschule mit Lehr- und Lernmittel sowie Bau einer Siedlung und Bau der dringendsten Wirtschaftswege.

Ein dritter Punkt, „Bau einer öffentlichen Badeanstalt“ wurde gestrichen. Dabei handelt es sich um das 1951 realisierte Wannenbad im ehemaligen Rathaus in der Herrenstraße.

Unter dem Datum 18.02.1950 existieren zwei weitere Texte, wobei das nachfolgende Schreiben in engli­scher Überset­zung nach New York abgesandt worden ist.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!

Nach nahezu 25 Jahren ist mein Bruder, der seit dem Jahre 1918 in Amerika ist, zu einem Besuch in seine bayerische Heimat gekommen. Es war mir eine besondere Freude, von ihm über das Leben in Amerika im allgemeinen und über die Verhältnisse der dort lebenden Landsleute aus meiner engeren Heimat zu hören.

Es sind nahezu 100 Personen, die nach dem ersten Weltkrieg von hier auswanderten und in Ihrer Stadt die zweite Hei­mat gefunden haben. Sie alle sind mir noch in guter Erinnerung.

Mein Bruder wird Anfang nächster Woche die Rückreise nach Amerika antreten. Ich nehme dies gerne zum Anlass, Ih­nen sehr geehrter Herr Oberbürgermeister die Verhältnisse meiner engeren Heimat zu schildern und erlaube mir, Sie höflich zu bitten, für unseren Ort die Patenschaft zu übernehmen. Es wäre eine große Freude für uns, wenn Sie meiner Bitte Gehör schenken würden. Sollten Sie einmal nach Deutschland kom­men, dann erlaube ich mir heute schon, Sie zu einem Besuch freundlichst einzuladen.

T i t t l i n g, ein Markt mit 3700 Einwohnern, liegt im südöstlichen Teil des Bayerischen Waldes. Inmitten ei­ner land­schaftlich reizvollen Gegend lebt, meist in wirtschaftlicher Not, bodenverbunden unser Grenzvolk. Steinindustrie, die einzige Industrie der Umgebung, gab einem Großteil der Bevölkerung das karge Brot. Heute ruhen diese Steinbrüche und das Leben ist von großer Arbeitslosigkeit gezeichnet. Umfangreiche Kriegsschäden vergrößern die Not. Trotzdem sind die Leute nicht verzagt und es wäre meine schönste Freu­de, wenn ich für meine Gemeinde moralische und materi­elle Hilfe erbitten könnte.

Ich grüße Sie mit den besten Wünschen!

Ihr

Johann Habereder

1. Bürgermeister“

Mit Post vom 8. März 1950 erhielt Johann Habereder eine Bestätigung des New Yorker Bürgermeister­amts, dass das Schreiben am 20. Februar eingetroffen sei.

Da keine weitere Antwort kam, sandte der Bürgermeister am 27. März seinerseits eine kurze Bestätigung nach New York, dass das Schreiben vom 8. März hier eingegangen ist.

Es gab keine weiteren Reaktionen aus New York auf den Tittlinger Hilferuf.

Wie wir rückblickend wissen, haben Bürgermeister Johann Habereder, Gemeinderat, Verwaltung und Bevöl­kerung nicht resigniert und sehr erfolgreich die Aufbauarbeit nach dem 2. Weltkrieg in Angriff genommen.

Herbert Zauhar, 2015