Der bekannte Kupferstich von Michael Wening aus dem Jahr 1723, skizziert im Jahr 1717

 

Einen solchen unterirdischen Gang gab es mit Sicherheit nicht!

Es gab nur zwei Phasen, in denen Englburg und Tittling unter gleicher Herrschaft waren und somit eine derartige Verbindung überhaupt einen Sinn gemacht hätte.

1396 – 1428: Ritter Wilhelm von Puchberg
Ritter Wilhelm von Puchberg erbaute 1397 die Englburg und gab diese bereits 32 Jahre später wie­der an die Schwarzensteiner ab. Die Puchberger hatten damals ihren Stammsitz in Winzer. Neben Englburg und Tittling gab es noch mehr Besitztümer, z. B. Fürstenstein.
„Der kostspielige Bau der Veste Englburg erschöpfte die ohnehin nicht gar reichlich gefüllte Kasse Wilhelms“, beschrieb 1833 Edmund Baumgartner in seinem Buch „Geschichte der Ritterburg Hochwinzer an der Donau“ die wirtschaftliche Lage des Puchbergers. Diese zwang ihn 1401, 1410 und 1414 zu Teilverkäufen seines übrigen Besitzes. Wil­helm war aus vielerlei Gründen in Geldnö­ten, hatte also gar nicht die finanziellen Mittel und einen echten Grund, um einen Gang zu bauen.

1730 – 1857: die Grafen von Taufkirchen
Die Grafen von Taufkirchen waren meist Beamte am Hof des Herzogs/Königs in München und weilten nur zeitweise auf der Englburg, noch seltener in Tittling. Sie hatten auch anderweitigen Be­sitz. Immer wieder gab es wirtschaftliche Probleme, insbesondere nach Beschneidung der Macht des Adels nach der Gründung des Königreichs Bayern im Jahr 1806.
Auch die Taufkirchener hatten keinen Grund und keine finanzielle Mittel zum Bau eines unterirdi­schen Gangs.

Zwischen 1429 und 1729 hatten Englburg und Tittling unterschiedliche Besitzer. Eine unterirdische Verbindung hätte in diesem Zeitraum keinen Sinn ergeben.

Weitere Gründe, die einen unterirdischen Gang ausschließen:
Die Luftlinie zwischen der Englburg und dem Grafenschlössl beträgt fast 3 km. Die tatsächliche Länge wäre wegen der Höhenunterschiede noch größer. Dazwischen liegen markante Steigungen bzw. Gefälle.
Der Bodenuntergrund besteht fast überall aus hartem Granitgestein, das aufwändig und zeitraubend bergmännisch bearbeitet hätte werden müssen. Maßnahmen zur Belüftung wären erforderlich gewe­sen.
Eine mit damaligen Mitteln nicht zu bewältigende Maßnahme! Aufwand und strategische Notwen­digkeit, soweit eine solche überhaupt bestand, standen in keinem vernünftigen Verhältnis.
Bei keiner der in neuerer Zeit durchgeführten Baumaßnahmen zwischen Tittling und Englburg stieß man in den Baugruben auf Beweise für einen unterirdischen Gang. So auch nicht als 1990 beim Ka­nalbau die infrage kommende Trasse mit einem ca. 5 m tiefen Graben im Schulweg bei der Volks­schulturnhalle unterhalb des Grafenschlössls gequert worden ist.

Aber wie kommt es, dass so viele an einen unterirdischen Gang glauben?
In früheren Jahrzehnten wurde die Geschichte von diesem geheimnisvollen Gang im Heimatkunde­unterricht jeder staunenden Schülergeneration erzählt.
Vermutlich entstand diese „Story“ Anfang des letzten Jahrhunderts. Sagen, Gruselgeschichten von Rauhnächten und der Drud waren die schaurige, angsteinflößende Unterhaltung jener Zeit.
In unserem Raum waren u. a. Max Peinkofer und Karl Mayrhofer Erfinder und Verbreiter solcher Geschichten, mit denen man Jung und Alt fesseln konnte.
Ein dunkler Kellergang, Vorratsspeicher oder Bierkeller im alten Grafenschlössl oder in Englburg und in manchen Häusern regten nicht nur die Phantasie von Kindern an. Und weil es anderswo in und bei wehrhaften Burgen solche Gänge gab, war so eine Geschichte vom un­terirdischen Gang schnell in die Welt gesetzt.

Herbert Zauhar, 2018