Die Halbmeile um 1950

 

Im Jahr 1825 errichtete der Bauer Anton Wallner aus Gneisting

(heute Anwesen Mader) aus Dank für den unfallfreien Verlauf seines Hausbaus eine Kapelle am früheren Weg von Tittling zur Engl­burg und weiter nach Fürstenstein. Zusammen mit einem alten Baumbestand, darunter eine mächti­ge Linde, ent­steht bis heute eine geheimnisvolle Stimmung, die bei Stürmen und starkem Regen früher auf die Menschen beängstigend gewirkt haben mag.

Hier führte in früheren Zeiten der Weg von Tittling zur Englburg und nach Fürstenstein vorbei. Im „Urplan“ von 1827 ist das kleine Waldeck als Grundstück der Ortsgemeinde Gneisting dargestellt.

Dieser früher einsam gelegene Ort regte die Phantasie der Menschen an. Schaurige Geschichten von Geistererscheinungen und den ruhelosen Seelen der Toten, die hier gerichtet sein sollen, entstanden. Diese wurden an langen, finsteren Winterabenden in der dämmrigen Stube erzählt und ließen nicht nur Kinder erschauern. Lehrer Karl Mayrhofer (1894 – 1935), ein literarischer Freund von Max Peinkofer, verfasste ein Gedicht über diese „Richtstätte“. Geschichten dieser Art gefielen den bei­den Schriftstellern und wurden von ihnen „unters Volk“ gebracht.
„Es weihazt“ (spuken, geistern) bei der Halbmeile, sagten die Leute.
Schauergeschichten gehören offensichtlich zum Grundbedürfnis des Menschen, damals und heute.

Fast hat man ein schlechtes Gewissen, wenn man bei solchen Geschichten nach ihrem Wahrheitsge­halt sucht, sind sie doch so etwas wie Volksgut unserer Vorfahren.
Urkundliche Nachweise, dass hier im Mittelalter Hinrichtungen vorgenommen worden sind, fehlen. Außerdem übten die Herren von Englburg und Tittling nur die niedere Gerichtsbarkeit aus. Todesur­teile für schwere Verbrechen konnten nur die Gerichte des Landesherren aussprechen. Diese besa­ßen die hohe Gerichtsbarkeit über ihre Untertanen.

Die im Jahr 1825 errichtete Kapelle wurde aus Dankbarkeit für ein privates Ereignis errichtet. Hät­ten unsere Vorfahren damals durch Überlieferung von einer Richtstätte an diesem Platz gewusst, stände hier eher eine Kapelle zum Gedächtnis an die Hingerichteten.

Hinrichtungsstätten wurden an frequentierten Stellen errichtet, als Symbol der Hochgerichtsbarkeit und wohl auch zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung.
Dies war bei der Halbmeile nur eingeschränkt der Fall. Viel frequentierter war die Strecke Passau – Tittling – Trautmannsdorf als Teil der „Gulden Straß“.
Wenn überhaupt, dann hätte der Landesherr wohl eine Hinrichtungsstätte an dieser Hauptstraße er­richten lassen.

Herbert Zauhar, 2018