Wer heute in Not gerät

und seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann, hat ein Anrecht auf gesetzliche Leistungen und Unterstützung, die unser Sozialstaat aus seiner Verantwor­tung gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft übernimmt.
Das war nicht immer so. Vor der Einführung der damals kommunalen Armenpflege im Jahr 1816 blieb den Bedürftigen nur das Betteln übrig oder sie waren auf die Hilfe mildtätiger Mitmenschen ange­wiesen.

Die neu entstandenen Gemeinden wurden ab 1816 per Gesetz verpflichtet, für die Unterstützung der in ihrer Gemeinde beheimateten Armen zu sorgen.
Zur Umsetzung dieses fortschrittlichen Gesetzes wurden auch in Tittling und Witzmannsberg je­weils ein Armenpflegschaftsrat gebildet. Vorsteher dieser beiden Gremien war normalerweise der örtliche Expositus bzw. Pfarrer.

Die Leistungen für Berechtigte umfassten Sachleistungen für die Grundbedürfnisse, Kosten bei Krankheiten, Transportkosten, Mietgeld und Kosten einer einfachen Beerdigung. Die Berechtigung hierfür war in Ausführungsbestimmungen akribisch beschrieben.

Die adeligen Herren und später die Gemeinden waren bestrebt, diese Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Deshalb waren das „Heimatrecht“ des Einzelnen und die Eheerlaubnis bis Mitte des 19. Jahrhunderts eingeschränkt. Heiraten durfte damals nur der, der für sich, seine Ehefrau und seine zu­künftigen Kinder selbst sorgen konnte. Erst nach Prüfung der Verhältnisse wurde die Eheerlaubnis erteilt – oder auch nicht.
Das „Heimatrecht“ eines Bürgers galt im Normalfall nur für die Geburtsgemeinde.

Damals wie heute kam es immer wieder zu Problemen bei der Unterbringung wohnungsloser Ge­meindebürger. Ab 1879 gab es in Tittling ein gemeindliches Armenhaus (Berggasse 8), das bei den Kriegsereignissen Ende April 1945 zerstört worden ist.

Die Zuständigkeit für die Mittellosen einer Gemeinde war auch dann gegeben, wenn diese Gemein­debürger auswärts wohnten oder arbeiteten und dort auf Hilfe angewiesen waren.

Auswärtige Gemeinden stellten dann Forderungen an die Heimatgemeinde des Betroffenen, wenn Auslagen für notwendige Beschaffungen oder Arzt- und Krankenhauskosten angefallen waren.

Es liegt ein umfangreicher Briefverkehr des Armenpflegschaftsrats mit Kommunen aus ganz Bay­ern vor, in denen verschiedenste Notlagen angesprochen werden. Dabei ist auch erkennbar, dass manche Personen und Familien dauerhaft auf Hilfe angewiesen waren.

So stellte beispielsweise das städtische Krankenhaus München links der Isar im September 1899 für fünf Tittlinger Gemeindebürger 463,75 Mark in Rechnung.

Der örtliche Armenpflegschaftsrat war wegen der entstehenden Kosten daran interessiert, auswärti­ge Krankenhausaufenthalte möglichst kurz zu halten. So gab es im Juni 1887 einen Schrift­wechsel mit dem Stadtmagistrat Vilshofen wegen der Rückbringung eines mittellosen Kranken aus dem dor­tigen Krankenhaus nach Tittling. Laut Befund eines Krankenhausarztes kam aber nur ein Rück­transport in einem Bett auf einem Fuhrwerk in Betracht, da der Patient nicht gehen konnte. In ande­ren Fällen wurden auch die Auslagen für Bahnfahrten Richtung Heimat in Rechnung gestellt.

Manche Kostenforderung führte zu Rückfragen, Infragestellung der Kostenhöhe und Zuständigkeit oder die Begleichung musste angemahnt werden.

Durch die Sozialgesetzgebung unter Bismarck ab 1883/84 begann man staatlicherseits, der weit ver­breiteten Verarmung der Bevölkerung durch Krankheiten und Unfällen sowie der wirtschaftli­chen Not entgegenzuwir­ken. Trotz dieser Verbesserungen sahen viele Bewohner des Bayerischen Waldes und anderen Landesteilen nur in der Auswanderung nach Amerika eine Möglichkeit, ihrer wirt­schaftlichen Not zu entkommen.

Nach 1918 ging die Verantwortung für die Armen und Notleidenden immer mehr auf den Staat über.
Die Bundesrepublik Deutschland definiert sich als demokratischer und sozialer Bundesstaat.
Neben den staatlichen Institutionen machen sich auch die Wohlfahrtsverbände und viele sozial ein­gestellte ehrenamtlichen Bürgerinnen und Bürger für unseren Sozialstaat verdient.

Herbert Zauhar, 2019